Ernst Lorenzi

Countdown für die Mountainbikerinnen

Die Off-Season der Mountainbiker neigt sich dem Ende entgegen bzw. fand für alle jene, die auch im Cyclo Cross engagiert waren, überhaupt nicht statt. Im Februar und März stehen die ersten Cross-Country-Rennen am Programm. Anlass genug, um auf die bevorstehende Saison der beiden Oberländerinnen Laura Stigger (Specialized Factory Racing) und Mona Mitterwallner (Cannondale) vorauszublicken. Expertin Andrea Koschier zu ihren Einschätzungen:

Ist dir bekannt, wie Laura und Mona die Wintermonate verbracht haben?

Ich weiß nur das, was beide über ihre jeweiligen Social-Media-Kanäle verraten haben: Viel Training und das teilweise über Wochen im sonnigen Süden. Beneidenswert! Mona hat übrigens angegeben, intensiv an ihrer Schwäche, der Startrunde, gearbeitet zu haben.

Die Latte aus der Vorsaison liegt durchaus hoch. Wie schätzt du die Chancen der beiden in der neuen Saison ein?

Wir haben in der Psychologie einen Spruch: Prognosen sind schwer, wenn sie die Zukunft betreffen. Nein, im Ernst: Wenn beide gesund bleiben, können sie zumindest ihre sehr guten Leistungen aus dem Vorjahr wiederholen. Außerdem sollte eine gute Athletin in der Lage sein, aus ihren Fehlern zu lernen. Man kann ja neue machen (lacht)

Pauline Ferrand Prevot war 2022 die überragende Athletin, hat gleich vier WM-Titel geholt. Glaubst du, sie sieht 2023 eher als Zwischensaison im Hinblick auf Olympia 2024 in Paris?

Pauline hat im Herbst 2022 das Team gewechselt und ist zu Ineos gegangen und ist im Winter die Cyclocross-Saison gefahren. Ich vermutet, sie wollte diesen Weltmeistertitel auch noch holen. Einmal hatte sie ihn ja gewonnen, das war 2014/15. In der Saison konnte sie in drei Disziplinen einen Weltmeistertitel gewinnen. Sie ist schon eine Ausnahmeathletin.  Aber zurück zur aktuellen Situation: Zu Beginn der Cyclocross-Saison war ja keine Form da, später kam die Form wohl etwas, aber leider auch wieder das alte Leiden mit der Durchblutung in den Beinen. Sie hat die Crosssaison vorzeitig beenden müssen. Nun muss man abwarten, wie sie das wieder – sie hatte in den Vorjahren ja zwei Operationen deswegen – in den Griff bekommt. Ganz allgemein denke ich, dass Paris 2024 ihr großes Ziel wird, natürlich. Aber das heißt ja nicht, dass sie nicht 2023 wieder auf WM-Gold losgehen wird. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, sie macht es wieder so wie im vergangenen Jahr: Volle Konzentration auf die Großereignisse. Aber auch dafür muss sie erstmal gesund werden.

Die Olympischen Spiele im nächsten Jahr sind natürlich auch für Laura und Mona ein großes Ziel. Wie siehst du die Chancen, dass dort beide an den Start gehen können.

Wenn man mit Athletinnen spricht, sagen alle einhellig: Die Qualifikation für Olympia ist das Stressigste. Zwei Jahre lang Qualifikationsdruck, immer Form haben müssen, um vielleicht bei Olympia dabei zu sein. Und dann ist das Großereignis endlich da und man sollte nochmals mehr Form und auch Lust haben. Aber das ist eben die Schwierigkeit, da müssen alle durch. Ich persönlich würde Olympia nicht als das große Ziel ausgeben. Es ist ein Rennen und danach ist wieder ein Rennen. Die Welt dreht sich auch ohne Olympia weiter. Aber in Köpfen der Menschen, der Sponsoren, der Verbände, der Medien ist Olympia riesengroß. Natürlich wäre es cool, wenn beide dabei wären. Dafür braucht es zwei Startplätze, die wiederum von den Leistungen beider abhängen. In dem Sinne haben Laura und Mona was davon, wenn beide gut fahren. Langer Rede kurzer Sinn: Ich würde sagen: Die Chancen stehen gut, dass beide mit dabei sind. Ich weiß jedenfalls, wo ich am 27. und 28. Juli 2024 bin: 30 km südwestlich von Paris.

Im Weltcup ist damit zu rechnen, dass Line Burquier aus Frankreich, die 2022 den U23-Weltcup dominiert hat, und Puck Pieterse aus den Niederlanden, die ihre größte Herausforderin war, in die Elite-Klasse aufsteigen. Zwei weitere harte Konkurrentinnen mehr?

Das kannst du laut sagen. Die Fans reiben sich schon die Hände. Sowohl Burquier als auch Pieterse haben bei der U-23-WM 2022 im Cross Country in Les Gets enorm schnelle Rundenzeiten hingelegt. Die wären in der Eliteklasse um Platz zwei gefahren. Beide sind nun im Winter wieder die Cyclocross-Saison gefahren. Burquier mit recht guten Resultaten. Aber man weiß nie, ob eine das nur zum Training oder als Saisonhöhepunkt fährt. Burquier tut sich – vielleicht mit Mona zu vergleichen – etwas schwer, am Start schnell wegzukommen. Sie ist dafür für lange Anstiege, was es ja beim Cyclocross nicht gibt, prädestiniert. Ich könnte mir vorstellen, dass Burquier und Mona ihre Crosscountryrennen ähnlich anlegen.  Pieterse ist ein Geschenk für den Radsport. Die ist extrem offen und lustig. In der Cyclocross-Saison hat sie gemeinsam mit zwei anderen ganz jungen Fahrerinnen, Fem van Empel und Shirin van Anrooij, den Weltcup der Elite und auch die WM der Elite dominiert. Pieterse kann extrem schnell starten und fährt technisch absolut perfekt. Von der Fahrweise her gleicht Pieterse Laura sehr. Schade für den Mountainbikesport ist, dass sowohl van Empel als auch van Anrooij heuer im Sommer auf der Straße fahren. Die können wir dafür bei der Tour de France Femme bewundern. 

Woran müssen Laura und Mona deiner Meinung nach arbeiten, um in der Weltelite eine noch bessere Rolle zu spielen?

Noch besser? Bist du verrückt? Die beiden sind Weltspitze. Was fehlt, sind Klitzekleinigkeiten und ganz viel Glück.

Mona hat es eh selbst gesagt: Der Start und die Startrunde sind zu verbessern. Es ist toll, wie stark sie aufholen kann. Sie kann damit auf das Podest fahren. Wenn sie ihre Schnelligkeit verbessert, kann sie um den Sieg mitfahren. Das ist aber leichter gesagt als getan. Im Grunde gehen die Fahrerinnen, gerade junge, meist den umgekehrten Weg: Sie schaffen es anfangs, sich eine halbe Runde vorne zu halten, dann eine Runde und so weiter.  Laura hatte voriges Jahr großes Pech mit einer langen Erkrankung. Diese hat die halbe Saison gekostet. Ich denke nicht, dass sie im Training etwas ändern muss. Ganz allgemein muss man sich ansehen, was die Leute machen, die ganz vorne mit dabei sind. Und da ist eine offene Frage, ob es beiden nicht gut täte, einmal ein paar harte Straßenrennen oder gar eine Straßenrundfahrt zu fahren bzw. im Winter ein paar Cyclocross-Rennen einzubauen. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass die Leidensgrenze mit einer zweiwöchigen Straßenrundfahrt weit nach oben verschoben wird. Der Schmerz, wenn das Laktat in den Fingerspitzen ist, fühlt sich plötzlich völlig normal und vertraut an. 

Glaubst du an Siege für sie in der bevorstehenden Saison?

(lacht) Ich bin nicht gläubig. Ich hoffe, dass beide den Spaß nicht verlieren, gesund bleiben und dass sie ihr privilegiertes Leben zu schätzen wissen. Ich halte es für wichtig, am Start an sich selbst zu glauben, zu wissen, dass man alles Menschenmögliche getan hat, um sein Bestes abrufen zu können. Aber ich halte es für gefährlich, vorab Siege als Erfolgskriterium festzulegen. Es gibt im Grunde zwei denkbare Szenarien: Ich kann schlecht fahren, aber weil die anderen noch schlechter sind, gewinne ich trotzdem. Oder ich fahre sehr gut, aber eine ist außerordentlich gut und gewinnt. In welchem Szenario bin ich die bessere Sportlerin und mit meiner Leistung zufriedener? Aber ich rede schon wieder um den heißen Brei herum: Laura und Mona können beide gewinnen, aber 15 andere auch. 

Laura und Mona haben offensichtlich völlig andere Herangehensweisen an ihre sportlichen Aufgaben. Wie schätzt du das ein?

Ich denke, dass beide völlig unterschiedliche Charaktere sind und auch völlig unterschiedliche Sportlerinnen, was ihre körperlichen Voraussetzungen anbelangt. Das schöne am Sport ist, dass sich am Renntag zeigt, wie jede ihre Stärken ausspielen kann. Ich geb’ dir ein Beispiel: Vor einer Woche war in Holland die Cyclocross-WM. Bei den Herren sind die großen Favoriten Matthieu van der Poel und Wout van Aert aufeinander getroffen. Die Fans wissen bis aufs kleinste Detail, wer von beiden was besser kann: Der eine springt besser über die Planken, der andere kann besser im Schlamm fahren, der eine ist schlampiger aber genial, der andere zuverlässiger, der eine ist eine Wundertüte bei Großereignissen, der andere eine Bank und so weiter. Und als Fan kann man beim Rennen mitfiebern: Wem liegen die Bedingungen wohl besser? Waren die eher mäßigen Leistungen in den letzten Rennen Bluff? Wer wird wann attackieren? Warum fährt der jetzt vorne? Warum attackiert der jetzt nicht? Das ist es, was es spannend macht, Rennen zuzusehen. Es wäre ja absolut fad, wenn alle gleich wären und wenn es ein „Richtig“ gäbe. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Und abgerechnet wird auch erst am Ende der Karriere. Van der Poel hat nach seinem Sieg etwas sehr Schönes gesagt: Beide brauchen einander, um sich zu Spitzenleistungen anzutreiben, und sie werden nach ihrer Karriere sehr stolz auf ihre Duelle sein.

Der erste Weltcup-Bewerb, der eigentlich in den Niederlanden geplant war, wurde abgesagt. Nicht gerade ein Ruhmesblatt für die UCI, oder?

Das kannst du laut sagen. Zuerst setzen sie den Weltcup in den Niederlanden zum Zeitpunkt des bisherigen Weltcups in Albstadt an. Sagen uns, nein, der Weltcup in den Niederlanden hat überhaupt nichts damit zu tun, dass Albstadt keinen Zuschlag erhält. Dann ziehen sich die Holländer wieder zurück und sagen, dass das überhaupt gar nichts damit zu tun hat, dass sie wenige Tage vor dem geplanten Crosscountry-Weltcup in derselben Gegend einen große Gravelveranstaltung durchführen. Die UCI hat nur ein Interesse – die UCI selbst. Es darf nichts außerhalb der UCI wachsen, sie verleiben sich alles sofort ein. Das passiert aktuell mit den E-Sportbewerben und der Gravelszene. Die Mountainbikeszene läuft hingegen Gefahr, aus dem Fokus zu geraten, weil die UCI wieder die Geldbrille aufhat.

Der nationale Verband setzt, so hat man den Eindruck, alles auf die beiden Top-Fahrerinnen Laura und Mona. Sollten nicht auch andere Athletinnen wie beispielsweise Tamara Wiedmann verstärkt zu Rennen geschickt werden, um Punkte einzufahren, die letztlich für die Olympianominierung von Bedeutung sein können?

Der österreichische Verband wurde in eine „goldene Zeit“ des Radsports hineingeboren bzw. wurde dort groß. Die Vereine bildeten eine Unzahl an Nachwuchsfahrern aus. Jedes Wochenende fanden dreitägige Rennsportwochenenden in ganz Österreich statt. Die Helden der Landstraße wurden am Siegespodest von kurzberockten Damen geküsst. Zigtausende Fans säumten die Rennstrecken. Dann kam die Zeit, wo sich alles änderte: Es wollten Frauen Rennen fahren und einige sogar mit dem Mountainbike. Der Boom allgemein ging aber massiv zurück. Viele Eltern scheuten sich zurecht, ihre Kinder an den Straßenradsport heranzuführen. Aber der Verband bewegte sich nicht, sondern hielt am Alten fest.

Er musste in den vergangenen Jahren zurecht viel öffentliche Kritik einstecken und hat nun ein Gender-Label präsentiert. Damit wollen die Verantwortlichen zeigen, dass sie Frauen und Nachwuchs fördern. Das ist schön und gut. Mich interessiert nur die Frage, wieviel Geld tatsächlich für welche Sparte wofür verwendet wird. Ich hab mir bei Präsentation des Gender-Labels auch etwas den Kopf gerieben, angesichts der Tatsache, dass Laura, Mona und auch Valentina Höll mehrfach Weltmeistertitel eingefahren haben und wir mit Anna Kiesenhofer eine Olympiasiegerin haben. Anna hat nach ihrem Olympiasieg gesagt, was in Österreich falsch läuft: Wer hat, dem wird gegeben. Aber ja: Natürlich – immer und überall sollen Rennen in allen Klassen beschickt werden. Das allein ist die Aufgabe eines Verbandes. Wir brauchen eine Kultur, die sagt: Wir schicken immer soviel Leute hin wie möglich, egal, welche Platzierung die machen. Weil irgendwann wird daraus irgendwer ganz nach vorne kommen. Die jungen Leute brauchen diese Bewerbe, um Lunte zu riechen. Sich einmal mit den richtig Großen zu matchen und danach zu sagen: So, ich trainier jetzt richtig, ich will das auch können, was die können. 

Österreich macht immer das selbe: Wenn eine Heim-WM oder ein Großereignis anstehen, ist im Jahr davor etwas Geld da. Um nachhaltig etwas zu ändern, müssen wir dieses Jahr die gewünschten Olympiasieger von 2036 zu den Bewerben schicken. Die britischen Olympiateilnehmerinnen werden 15 Jahre zuvor in den Schulen gesucht und 15 Jahre lang gefördert und gefordert. In Österreich verfallen wir nach den Großereignissen immer wieder die altbekannte chronische Depression. Da müssen wir raus. Es muss für junge Leute cool sein, Österreich vertreten zu dürfen. 

Foto: Ernst Lorenzi

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