Fotos: ÖRV/Wilhelm
Adaptierte Regeln, ein tiefer gelegter Doppelsitzer-Schlitten, eine zusätzliche Disziplin, womit erstmals gleich viele Frauen wie Männer im Weltcup teilnahmeberechtigt sind – die nacholympische Rennrodel-Saison bringt einige Neuerungen und viel frischen Wind mit sich. Das gilt auch für das heimische Rodelteam, das sich mit Neo-Cheftrainer Christian Eigentler und Material-Guru Georg Hackl verstärkt hat und mit zwölf Schlitten in den Weltcupwinter startet.
Karten werden neu gemischt
Bei den Damen deutet nach der Babypause der sechsfachen Olympiasiegerin Natalie Geisenberger (GER), die im Jänner ihr zweites Kind erwartet, vieles auf ein neuerliches Duell zwischen Julia Taubitz und Madeleine Egle hin. Die 24-jährige Tirolerin gewann in der Vorsaison fünf Weltcuprennen und musste sich der Deutschen in der Endabrechnung nur knapp geschlagen geben. Neben dem Duo drängen mit der Olympiazweiten Anna Bereiter und der siebenfachen Weltcupsiegerin Dajana Eitberger (beide Deutschland) weitere Hochkaräter ins Rampenlicht. Auch den Lettinnen Kendija Aparjode und Elina leva Vitola, sowie der deutschen Nachwuchshoffnung Merle Fräbel ist einiges zuzutrauen. Letzteres gilt auch für die 22-Jährige Hannah Prock und ihre um ein Jahr jüngere Teamkollegin Lisa Schulte, die bei den Olympischen Spielen in Peking hinter Egle auf die Plätze fünf und sechs gerodelt waren. Der vierte ÖRV-Startplatz im Weltcup wird bis auf weiteres Selina Egle zugesprochen. Die jüngere Schwester von Madeleine rodelt damit in zwei Disziplinen um Weltcuppunkte.
Nach der Aufnahme ins Olympia-Programm 2026 folgt beim Weltcupauftakt in Igls die Premiere des Damen-Doppelsitzers in der allgemeinen Klasse. Damit startet auch die Olympiakampagne von Selina Egle (19) und Lara Kipp (18), die sich das Sportgerät bereits im Nachwuchs geteilt haben. Nach Rang drei im Gesamtweltcup (Jugend A) 2019/2020 war das Duo mit breiter Brust zu den Youth Olympic Games nach St. Moritz-Celerina gereist. Doch der Medaillentraum endete bereits im Training und das schmerzhaft. Egle brach sich bei einem Sturz den Mittelfußknochen, damit wurden die gemeinsamen Fahrten zwangsläufig auf Eis gelegt. Im Vorjahr schnupperte Egle im Einsitzer Weltcupluft, Anfang Oktober, mit Beginn des Eistrainings, erfolgte die Rückkehr auf den Doppelsitzer. Das ÖRV-Duo bekommt es zum Auftakt mit einem bärenstarken US-Team, das gleich drei Schlitten ins Rennen schickt, sowie einigen klingenden Namen zu tun. So machen etwa die fünffache Weltcupsiegerin Summer Britcher und die WM-Dritte Emily Sweeney gemeinsame Sache, beide US-Damen starten auch im Einzel. Italien spannt mit Andrea Vötter und Marion Oberhofer ebenfalls zwei im Einzel-Weltcup erprobte Athletinnen zusammen. Ein Auge wird man auch auf die Deutschen Jessica Degenhardt/Cheyenne Rosenthal haben müssen.
Auch bei den Herren werden die Karten nach dem Rücktritt des Deutschen Johannes Ludwig, der als Gesamtweltcup- und Olympiasieger die vergangene Saison dominiert hat, neu gemischt. Angeführt von ÖRV-Routinier Wolfgang Kindl, zweifacher Silbermedaillengewinner von Peking und Zweiter im Gesamtweltcup der Vorsaison, will das heimische Quartett im Kollektiv an der Spitze mitmischen. Das Zeug dazu haben Olympiasieger (2018) David Gleirscher, Jonas Müller, Vize-Weltmeister (2020) und Sprint-Weltmeister (2021) Nico Gleirscher allemal, wie konkurrenzfähig man tatsächlich ist, wird sich erst weisen. Denn trotz der intensiven, fast achtwöchigen Vorbereitung auf Eis, fehlt aufgrund der schwierigen Witterung und Bahnverhältnisse der Vergleich mit der internationalen Konkurrenz. Nach Papierform geht die größte Konkurrenz im Ringen um den Gesamtweltcup vom dreifachen Olympiasieger Felix Loch aus. Zudem sollte man die bärenstarken Cousins Dominik und Kevin Fischnaller (ITA), sowie den lettischen Senkrechtstarter Kristers Aparjods am Zettel haben.
Im Doppelsitzer gelten die Olympia-Dritten Thomas Steu und Lorenz Koller auch heuer wieder als erste Herausforderer Deutschlands, das mit Toni Eggert/Sascha Benecken die amtierenden Gesamtweltcupsieger und mit Tobias Wendl/Tobias Arlt die Olympiasieger von Peking stellt. Martis Bots und Roberts Plume, nach dem Rücktritt von Andris und Juris Sics Lettlands neue Nummer eins, muss man ebenfalls am Zettel haben. Das gilt auch für die beiden anderen ÖRV-Schlitten. Der Vorarlberger Yannick Müller will nach seinem komplizierten, offenen Armbruch mit Untermann Armin Frauscher dort anknüpfen, wo man vor dem schweren Sturz in Yanqing Sliding Center im vergangenen Februar, aufgehört hat. Der Knochen ist mittlerweile gut zusammengewachsen, jene drei Platten und 26 Schrauben, die diesen fixieren, werden nach der Saison entfernt. Juri Gatt und Riccardo Schöpf, die im Vorjahr ihre erste komplette Saison in der allgemeinen Klasse durchlaufen haben und dabei mit den Rängen fünf (Igls) und sechs (Altenberg) aufzeigen konnten, wollen die Lücke zur Weltspitze konstant schließen.
Volles Programm
Beim Weltcupauftakt am kommenden Wochenende steht neben den Entscheidungen im Ein- und Doppelsitzer auch ein Sprint-Weltcup auf dem Programm. Eröffnet wird der Reigen am Samstag von den Damen-Doppelsitzern, Im Anschluss folgt das Rennen der Damen-Einsitzer, ehe die Herren-Doppelsitzer in den Weltcup-Winter starten. Am Sonntag steht zunächst das Rennen der Herren-Einsitzer auf dem Programm, abgerundet wird der Saisonauftakt in Tirol mit dem ersten von insgesamt drei Sprint-Weltcups 2022/23.
Stimmen:
Christian Eigentler: „Wir hatten heuer in der Vorbereitung oft Wetterpech und entsprechend herausfordernde Bahnverhältnisse. Aber wir haben das Beste daraus gemacht, haben viel ausprobiert, an neuen Schrauben gedreht und getüftelt. Es ist ein ständiger Prozess, wir müssen bereit für die Weiterentwicklung sein und wollen als Mannschaft Erfolg haben. Am Wochenende werden wir sehen wie weit wir sind und wie die anderen über den Sommer gekommen sind. Wir werden voll angreifen, wollen uns von unserer besten Seite zeigen und freuen uns auf die tolle Stimmung daheim!“
Wolfgang Kindl: „Wir haben im Vorfeld sehr intensiv gearbeitet und auf sechs unterschiedlichen Bahnen trainiert. Die Eisqualität war witterungsbedingt zumeist eher bescheiden und auf jeder Bahn unterschiedlich, da waren selbst die internen Vergleiche nicht immer sehr aussagekräftig. Wir haben viel getestet und das Material weiterentwickelt, die Hausaufgaben sind gemacht, das Gefühl ist positiv. Es ist an der Zeit, dass es endlich losgeht, die Vorfreude auf den Wettkampf und Auftakt daheim ist riesig!“
Nico Gleirscher: „Das Double bei der Meisterschaft hat mir noch einmal einen kräftigen Schub gegeben. Wir haben eine starke Truppe, da ist ein Doppelsieg keine Selbstverständlichkeit. Ich habe beim Material einiges weiterbekommen, weiß was funktioniert und wo ich noch nachschärfen muss. Es ist gut, dass es endlich losgeht, ich bin bereit und traue mir einiges zu.“
Madeleine Egle: „Ich habe mir heuer in der Vorbereitung etwas schwerer getan als sonst. Es waren einige Umstellungen dabei. Wir haben viel getestet und ausprobiert, da war es nicht einfach, die Sicherheit einzuschleißen. Da komplett der Vergleich fehlt, sind Prognosen sehr schwierig, aber mit den üblichen Verdächtigen wird auch heuer zu rechnen sein. Wenn es mir gelingt dort anzuknüpfen, wo ich aufgehört habe, wäre ich happy. Ich hoffe auf einen gelungenen Auftakt und freue mich schon sehr auf das Heimspiel.“
Hannah Prock: „Der fünfte Rang von Peking hat gezeigt, dass die Richtung absolut passt. Ich habe an Selbstvertrauen gewonnen, im Sommer sehr gut gearbeitet, jetzt möchte ich die Weltspitze weiter fordern und konstant vorne mitmischen. Die Qualität und Dichte ist groß, aber auch wir sind ein starkes, erfolgshungriges Team.“
Thomas Steu: „Wir haben viel getestet, uns gut auf das neue Schlittensystem einstellen können und sind froh, dass es nach den vielen Trainingskilometern endlich wieder mit dem Rennsport losgeht. Die Vorbereitung war gut, das Paket fühlt sich positiv an, wir werden sehen, wofür es am Wochenende reicht.“
Titelfoto: Madeleine Egle will schon beim Weltcupauftakt in Innsbruck/Igls an die starken Leistungen der vergangenen Saison anschließen.
